MANUEL GONZÁLEZ OROPEZA
Nach mehr als 150 Jahren föderalen Systems hat sich in Mexiko ein Konsens darüber herausgebildet, dass die hochgradige Zentralisierung der Befugnisse einer Reform bedarf. Als Reaktion auf die historischen Wahlen im Jahr 2000 und um Demokratie und Pluralismus weiter zu fördern, streben die Bundessstaaten eine Erweiterung ihrer Befugnisse an. In diesem Dialog zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der 31 Bundesstaaten lässt sich jedoch zunehmend noch eine dritte Stimme vernehmen, die mehr Autonomie und Gleichheit fordert: die lokalen Regierungen der 2.300 Gemeinden. Es bestehen zudem Bedenken hinsichtlich des beschränkten Status des Bundesdistrikts – der Stadt Mexiko – in dem ein Fünftel der Bevölkerung des Landes lebt.
Trotz diesem allgemeinen Konsens wird es keine einfache Reform werden, da alle Veränderungen ein Verfassungsänderungsverfahren durchlaufen müssen. Bisher fehlt jede Bereitschaft der politischen Akteure, der übrigen politischen Gemeinschaft Zugeständnisse zu machen. Darüber hinaus gibt es keine Übereinstimmung über die Einzelheiten der
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Reform, obwohl klar ist, dass deren Ziel in einer Beschränkung der Befugnisse der nationalen Ebene und der stärkeren Beteiligung lokaler Regierungen bestehen muss.
Mit Ausnahme der großen Städte sind die lokalen Gebietskörperschaften im Allgemeinen nicht dafür vorbereitet, die Herausforderungen einer solchen Dezentralisierung zu meistern. In der Regel werden den Gemeindeverwaltungen von den Bundesstaaten oder der nationalen Ebene nicht die nötigen Befugnisse übertragen. Dennoch müssen sie Probleme lösen, bei denen die einzelnen Befugnisse so miteinander verwoben sind, dass eine eindeutige Aufteilung auf die einzelnen Entscheidungsebenen unmöglich ist. Unglücklicherweise ist es die Verwaltungsebene, die dem Volk am nächsten ist, die lokalen Gebietskörperschaften nämlich, die üblicherweise im Namen aller anderen Ebenen zuerst reagieren muss. Weil Asymmetrie nie Bestandteil des mexikanischen Föderalismus war, haben alle Gemeinden dieselben strukturellen Institutionen.
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts wurden auf Bundesstaatsebene mehrere neue verfassungsrechtliche Institutionen geschaffen. Die neue Verfassung des Bundesstaates Veracruz aus dem Jahr 2000 dient in diesem Prozess als Vorbild. Die Bundesstaaten jedoch, die traditionell stärker auf die Einflussnahme der Föderation und ihrer Institutionen gesetzt haben, sind einer unabhängigen und innovativen Handlungsweise eher abgeneigt.
Für die Bundesregierung ist der Prozess der Dezentralisierung schwierig und schmerzhaft, da er zu einer Erosion der Bundesverwaltung und zu einer grundlegenden Änderung bei der Verteilung der Finanzmittel führt. Im Jahr 2004 wurden alle Regierungsebenen zu einer Steuertagung eingeladen, um die Reform des Steuersystems, der Staatsausgaben und der Finanzmittel im Rahmen des Dezentralisierungsansatzes zu diskutieren.
Der Debatte über die zwischenstaatlichen Beziehungen ist in Mexiko keine besondere
Aufmerksamkeit zuteil geworden. Bisher hat sich die Diskussion eher auf die passiven Strukturen des Föderalismus konzentriert als auf das dynamische Zusammenspiel aller Regierungsebenen. Mexiko ist mit Sicherheit demokratischer geworden, aber das beruht weniger auf einer grundlegenden Reform der Institutionen als auf einem Wechsel in der politischen Führung. In anderen Ländern ist die starre Verteilung der Befugnisse zwischen der Föderation und den Bundesstaaten durch eine flexiblere Verfassungsauslegungen der Justiz aufgelockert worden. In Mexiko war dies nicht der Fall. Eine Intervention der Justiz
Manuel González Oropeza
hat nicht stattgefunden, so dass der föderale Verfassungsrahmen umso mehr einer wohlüberlegten Reform bedarf. Ein Artikel der Bundesverfassung begrenzt die rechtliche Auslegung von Entscheidungen des Obersten Gerichts. Ein anderer Artikel bietet jedoch einen Weg, "verfassungsrechtliche Kontroversen" zu lösen. Danach kann jede Regierungsebene Klage beim Obersten Gericht einreichen, wenn sie der Ansicht ist, dass eine andere Ebene Rechte verletzt, die ihr im Rahmen der Kompetenzverteilung von der Verfassung eingeräumt werden.
Zwar werden alle Befugnisse der Föderation explizit durch die Verfassung gewährt, aber einige Befugnisse, die den Bundesstaaten vorbehalten sind, finden in der Bundesverfassung keine Erwähnung und können in den Verfassungen der einzelnen Bundesstaaten weiter ausgearbeitet werden. Weil jedoch die Bundesregierung die alleinige Verantwortung für die Besteuerung und die internationalen Angelegenheiten trägt, kann sie nach eigenem Ermessen Steuern erheben und internationale Verträge abschließen, selbst wenn davon den Bundesstaaten vorbehaltene Angelegenheiten berührt werden. Die Bundesregierung hat sich zudem eine Sammelklausel der Verfassung zunutze gemacht, die auch als Klausel der "implizierten" Befugnisse bekannt ist und in Ausnahmefällen als Ausweg aus der starren Regelung der Verteilung der Befugnisse gedeutet worden ist.
Auf der anderen Seite haben sich die meisten Bundesstaaten eine Selbstbeschränkung auferlegt und ihre Möglichkeiten bei den für sie vorbehaltenen Befugnissen nicht ausgeschöpft. Ein markantes Beispiel dafür ist der mangelnde Schutz der Menschenrechte in den Verfassungen der Bundesstaaten. Die mexikanischen Bundesstaaten haben die Menschenrechte ihrer Bürger und Bürgerinnen nur unter ganz besonderen Umständen erweitert und nur selten eigene Mittel zu deren Schutz eingesetzt. Ein anderes Beispiel für diese Zurückhaltung besteht in der Einheitlichkeit der Legislative der Bundesstaaten. Alle Bundesstaaten haben bis jetzt ein Einkammerparlament beibehalten, obwohl einige die Einführung einer zweiten Kammer vorgeschlagen haben.
Die politischen Bedingungen in Mexiko sind reif für eine Reform des gegenwärtigen Systems. Die Oppositionsparteien sind im politischen Leben und bei Wahlen im ganzen Land präsent, und der Präsident kontrolliert das Bundesparlament nicht mehr im gleichen Maße wie in früheren Jahren. Dasselbe gilt auf der Ebene der Bundesstaaten, und das Verhältniswahlrecht hat zu größerer Vielfalt in der Zusammensetzung der Gremien der Bundesstaten und der Gemeinden geführt. Die meisten Vertreter der Exekutive der Bundesstaaten gehören anderen Parteien an als diejenigen der Bundesexekutive. Folglich haben viele Bundesstaaten erfolgreich Änderungen in ihrem Regierungs- und Verwaltungssystem eingeführt und eine stärkere Befolgung rechtsstaatlicher Regeln bei Wahlen durchgesetzt.
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Zwar erscheint das politische Klima für einen Wandel perfekt, aber es hemmt auch schnelle und weit reichende Reformen der Regierungsinstitutionen. Der Senat des Bundesparlaments untersucht nun, auf welchen Wegen die Macht am besten dezentralisiert werden kann. Es scheint, dass in Mexikos Zivilrechtstradition – da wo gerichtliche Interventionen sich in Schranken halten – die Übertragung oder gesetzlich verankerte Abtretung von Befugnissen von der Bundesebene an untere Einheiten gut funktionieren könnte.
Beobachter, die mit den politischen Realitäten in Mexiko bisher gut vertraut waren, mögen von diesen neuen Entwicklungen des Föderalismus und den anderen politischen Reformen überrascht sein. Sie werden feststellen müssen, dass sich das Land im Umbruch befindet.